Bild: Ein Antragsformular

Pflegegrad beantragen

  • Schon ab Geburt können Kinder einen Pflegegrad bekommen
  • Den Antrag stellen Sie bei der Pflegekasse
  • Je höher der Pflegegrad, desto mehr Leistungen der Pflegekasse gibt es
  • Wichtig ist eine gute Vorbereitung der Begutachtung

 

 

Pflegegrad beantragen

Um pflegebedürftige Menschen zu versorgen, braucht es weitreichende Unterstützung. Auch Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, wenn sie aufgrund einer Behinderung, einer Erkrankung oder eines Unfalls pflegebedürftig werden. Bei körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen kann bereits ab der Geburt eine tägliche Pflege, die über die normale Versorgung eines Säuglings hinausgeht, nötig sein.

Voraussetzung für den Erhalt von Leistungen der Pflegekasse ist die Bewilligung eines Pflegegrades. Je höher der Pflegegrad, desto mehr Geld- oder Sachleistungen gibt es.

Ihnen mag es unangenehm sein, über die Defizite Ihrer Kinder zu sprechen oder Sie verbinden mit dem Begriff „Pflegebedürftigkeit“ andere Dinge, als dies z. B. die Pflegekasse tut. Darum ist es gut zu wissen, worum es beim Thema Pflegegrad und Begutachtung geht.

auf der Grafik ist ein pfad mit neun Punkte dargestellt, jeder Punkt ist eine wichtige Station bei der Antragstellung des PflegegradsFür pflegebedürftige Kinder
auf der Grafik ist ein pfad mit neun Punkte dargestellt, jeder Punkt ist eine wichtige Station bei der Antragstellung des PflegegradsFür pflegebedürftige Kinder

Wichtige Infos zum Thema Pflegegrad

Ein Kind gilt nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) als pflegebedürftig, wenn es aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner altersgerechten Selbstständigkeit und/oder Fähigkeiten eingeschränkt ist. Die Pflegebedürftigkeit muss dauerhaft sein – das heißt für mindestens sechs Monate.

 

Viele Krankheiten können eine Pflegebedürftigkeit verursachen. Das können körperliche Behinderungen sein (wie etwa nach einem Unfall), Krebs, Mukoviszidose oder Asthma, geistige Behinderungen durch Sauerstoffmangel bei der Geburt, Autismus Spektrum Störungen oder auch chromosomale Veränderungen wie das Down-Syndrom oder das Angelman-Syndrom.

 

Grundsätzlich wird bei Kindern eine „natürliche“ Pflegebedürftigkeit vorausgesetzt. Denn auch Kinder ohne Einschränkungen sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Bei der Beurteilung auf Pflegebedürftigkeit wird alleine die Abweichung von der Selbständigkeit und den Fähigkeiten zu einem gleichaltrigen Kind berücksichtigt. Fallen hier Beeinträchtigungen auf, kann Pflegebedürftigkeit und damit die Voraussetzung zur Bewilligung eines Pflegegrades vorliegen.

Einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung (Pflegeantrag) zu stellen macht immer dann Sinn, wenn der Hilfebedarf des Kindes höher ist als bei einem gleichaltrigen, neurotypischen Kind.

 

Säuglinge und Kinder im Alter von 0 - 18 Monaten sind naturgemäß in allen Bereichen des Alltagslebens unselbständig. Deshalb liegt nur in wenigen Fällen eine „offizielle“ Pflegebedürftigkeit nach der Definition des Sozialgesetzbuches vor. Dies kann zum Beispiel sein, wenn bei Säuglingen in diesem Alter keine Bewegungen der Arme und Beine erkennbar sind oder die Nahrungsaufnahme ungewöhnlich aufwendig ist. Das heißt, das Maß an elterlicher Hilfe (wie oft, wie lange) übersteigt dauerhaft die altersüblichen Hilfen.

 

Manchmal zeigen sich die Einschränkungen auch erst verzögert. Das Kind kann den Blick der Eltern nicht fixieren, es dreht sich nicht, es entwickelt epileptische Anfälle. Eine ärztliche Diagnose kann ein Indiz für Pflegebedürftigkeit sein, jedoch ist sie nicht allein maßgeblich. Bei der Beurteilung wird alleine die Abweichung von der Selbständigkeit und den Fähigkeiten zu einem gleichaltrigen Kind berücksichtigt.

 

Tipp: Wenn Sie unsicher sind, lassen Sie sich von einer Kinderärztin, einem Kinderarzt oder einer Kinder-Pflegefachkraft beraten. Warten Sie nicht zu lange mit der Antragstellung. Sobald der Antrag bewilligt ist, erhalten Sie Pflegegeld rückwirkend ab dem Tag des Antrags.

 

Jede Pflegebedürftigkeit wird in 5 Pflegegrade eingeteilt. Pflegegrad 1 heißt, es liegt nur eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit vor. Pflegegrad 5 erhält ein Kind, wenn es in höchstem Maße unselbstständig ist und rund um die Uhr eine intensive pflegerische Versorgung benötigt.

 

Pflegegrad 1 (Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit)

Pflegegrad 2 (Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit)

Pflegegrad 3 (Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit)

Pflegegrad 4 (Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit)

Pflegegrad 5 (Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung)

 

Die Unterschiede in der Selbstständigkeit werden nach einem Punkte-/Modul-System festgehalten.

Zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit werden Kinder vom Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) oder von Medicproof (bei privat Versicherten) begutachtet. Die Begutachtung von Kindern folgt grundsätzlich den Prinzipien der Begutachtung von Erwachsenen. Es wird mit dem gleichen Modul- und Punktesystem gearbeitet.

 

Bei der Begutachtung wird der Grad der Selbstständigkeit durch Feststellung der Fähigkeiten in sechs verschiedenen Lebensbereichen, sogenannten Modulen, ermittelt.

 

1. Modul: Mobilität

2. Modul: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

3. Modul: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

4. Modul: Selbstversorgung

5. Modul: Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

6. Modul: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

 

Jedem Modul liegen festgelegte Kriterien zugrunde. Für jedes Kriterium wird der Grad der Selbständigkeit bestimmt. Diese erfolgt mittels eines Punktesystems. Aus der gewichteten Punktzahl ergibt sich am Ende eine Gesamtpunktzahl, die den Pflegegrad bestimmt.
Hier finden Sie ein Schaubild und weitere Informationen.

 

Ein wesentlicher Unterschied bei der Begutachtung von Kindern ist, dass die Abweichung von der Selbstständigkeit und den Fähigkeiten altersentsprechend entwickelter Kinder zugrunde gelegt wird. Das heißt, die Begutachtung soll zeigen, wo ein gegenüber normal entwickelten Kindern höherer Betreuungsaufwand vorhanden ist.

 

Je nach Alter Ihres Kindes gelten besondere Regeln bei der Begutachtung.

 

Kinder bis 18 Monate
• Lediglich die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen im Modul 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen" und Modul 5 "Selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen – sowie deren Bewältigung" werden beurteilt. Modul 1 "Mobilität", Modul 2 "Geistige und kommunikative Fähigkeiten" und Modul 4 "Selbstversorgung" werden nicht berücksichtigt.

 

• Anstelle von Modul 4 „Selbstversorgung“ ist lediglich die Fragestellung „Bestehen gravierende Probleme bei der Nahrungsaufnahme, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf im Bereich der Ernährung auslösen?“ zu beantworten

 

• Wichtig: da für diese Altersstufe nur 2 von 6 Modulen einfließen, werden diese Kleinkinder pauschal einen Pflegegrad höher eingestuft. Diesen Pflegegrad behalten die Kinder dann bis zum vollendeten 18. Lebensmonat. Nach dem 18. Lebensmonat erfolgt (ohne Neu-Begutachtung!) eine reguläre Einstufung (z.B. von PG 2 in PG 1). Eine erneute Begutachtung erfolgt nur, wenn eine Änderung der Pflege-Situation zu erwarten ist (z.B. durch OP) oder wenn man dies selbst veranlasst.

 

Kinder ab 18 Monate bis unter 11 Jahre
Kinder ab dem 18. Lebensmonat werden in gleicher Weise wie pflegebedürftige Erwachsene eingeschätzt. Hier werden alle 6 Module zur Pflegebegutachtung herangezogen. In Abhängigkeit vom genauen Alter werden einige Kriterien in den Modulen jedoch nicht geprüft.

 

Kinder über 11 Jahre
Ab diesem Alter gelten die gleichen Kriterien wie für Erwachsene. Alle sechs Module werden in Gänze zur Pflegebegutachtung herangezogen. Im Rahmen der Begutachtung wird allerdings bis zum Alter von 18 Jahren noch das Begutachtungsformular für Kinder eingesetzt, da dieses eine entsprechende altersgerechte Formulierung enthält.

1. Stellen Sie einen Antrag auf einen Pflegegrad bei der Pflegekasse ihres Kindes

Pflegeleistungen müssen Sie bei der Pflegekasse beantragen. Kontaktieren Sie dazu die Krankenkasse Ihres Kindes, dort sitzt die Pflegekasse. Es genügt ein Anruf, eine E-Mail oder ein kurzer Brief. Schreiben Sie beispielsweise: "Ich stelle einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung."

 

Kümmern Sie sich rechtzeitig, denn Pflegeleistungen bekommen Sie frühestens ab Beginn des Monats, in dem Sie den Antrag stellen. Die Pflegekasse muss den Antrag innerhalb von 25 Arbeitstagen bearbeiten, in dringenden Fällen schneller.

 

2. Füllen Sie den Antrag für Ihr Kind aus

Die Pflegekasse schickt Ihnen ein Formular mit vielen Fragen. Dieses ist nicht speziell für Kinder erstellt worden und beinhaltet daher auch Fragen, ob Sie zu Hause oder im Pflegeheim gepflegt werden wollen. Wenn Sie einzelne Fragen nicht verstehen, fragen Sie bei der Pflegekasse, in einem Pflegestützpunkt oder einer anderen Pflegeberatungsstelle nach. Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine Pflegeberatung. Schicken Sie das ausgefüllte Formular an die Pflegekasse zurück.

 

3. Der Gutachter teilt Ihnen den Termin zur Begutachtung mit

Die Leistungen der Pflegeversicherung hängen vom Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und vom Pflegegrad ab. Deshalb kommt eine Gutachterin oder ein Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MD) zu Ihnen bzw. bei privat Pflegeversicherten kommt der Gutachterdienst Medicproof. Für die Pflegebegutachtung von Kindern ist es hilfreich, wenn Sie dem Medizinischen Dienst vorab einige Informationen mitteilen.

 

4. Der Gutachter kommt zu Ihnen nach Hause

Beim Hausbesuch schaut die Gutachterin, der Gutachter auf körperliche, geistige und psychische Fähigkeiten und wie selbstständig Ihr Kind ist. Die begutachtende Person ist eine besonders geschulte Pflegefachkraft, selten eine Ärztin, ein Arzt.

 

5. Der Gutachter ermittelt den Pflegegrad

Aus den Informationen, die der Gutachter beim Hausbesuch bekommen hat, ermittelt er den Pflegegrad. Es gibt fünf Pflegegrade. Das Ergebnis bekommt die Pflegekasse. Diese schickt Ihnen dann das Gutachten zu.

 

6. Widerspruch einlegen

Wenn Sie mit der Einstufung Ihres Kindes nicht einverstanden sind, können Sie Widerspruch gegen den Bescheid der Pflegekasse einlegen. Wichtig dabei ist, dass Sie schnell reagieren und die Frist von einem Monat nach Erhalt des Bescheids einhalten. Die Verbraucherzentrale NRW hält einen Musterbrief dazu bereit.

Die Gutachterin, der Gutachter kündigt sich rechtzeitig zu seinem Hausbesuch an. Idealerweise sollten Sie alle wichtigen Unterlagen bereithalten:

 

  • Arztberichte
  • Krankenhausbriefe
  • Untersuchungsbefunde inklusive der Schreiben der sozialpädiatrischen Zentren und der ggf. besuchten Kitas oder Schulen
  • gelbes Vorsorgeheft
  • ggf. auch Angaben zur Vorgeschichte (Schwangerschaft, Geburt)
  • Fragebogen des MD

Füllen Sie den Fragebogen des Medizinischen Dienstes (MD) vor dem Termin sorgfältig aus. Gehen Sie den Tagesablauf des Kindes einmal komplett durch, an einem normalen Wochentag und am Wochenende. Überlegen Sie, in welchen Situationen Sie besonders gefordert sind. Welcher Unterstützungsbedarf zeigt sich aufgrund der Behinderung oder Erkrankung Ihres Kindes? Wo liegen die größten Probleme? Was war der Grund, warum Sie einen Pflegegrad beantragt haben und warum gerade jetzt?
Hier finden Sie die Fragenbögen der beiden medizinischen Dienste in NRW:
Frageboden des MD Westfalen-Lippe [externer Link]
Fragebogen des MD Nordrhein [externer Link]

 

Wichtig: nicht nur die Begleitung zu Arzt- und Therapieterminen fließt in die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit ein. Sondern auch die von Eltern durchgeführten Maßnahmen wie Blutzuckermessen, Umgang mit Hilfsmitteln, Übungen aus dem Bereich Krankengymnastik, Logopädie, Atemtherapie. All das kostet ja Ihre Zeit und Kraft. Schildern Sie der begutachtenden Person Ihren Alltag daher so ausführlich wie möglich.

 

Außerdem sollte Ihr Kind natürlich anwesend sein. Denn der Gutachter wird Ihr Kind altersentsprechend einbeziehen und – meist spielerisch – Fähigkeiten und Einschränkungen prüfen. So lässt er sich z.B. das Zimmer oder Lieblingsspielsachen zeigen.

 

Falls erforderlich: Bitten Sie den Gutachter um ein Vier-Augen-Gespräch, ohne dass Ihr Kind anwesend ist. Vielleicht fragen Sie Verwandte oder Freunde, ob sie Ihr Kind in der Zeit zu Hause bei Ihnen betreuen können. Oder Sie erlauben Ihrem Kind, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. So können Sie auch Dinge besprechen, die das Kind verletzen könnte oder die sie vor Ihrem Kind nicht direkt aussprechen möchten.

 

Manche Gutachter:innen haben nur wenig Erfahrung mit der Beurteilung von Kindern. Daher lohnt es sich, vorher Kontakt zu anderen pflegenden Eltern zu suchen und sich Tipps einzuholen. Manchmal werden bestimmte Themen gar nicht angesprochen, weil sie nicht dem üblichen Protokoll entsprechen. Dann ist es sinnvoll, wenn man selbst gut vorbereitet ist.

Ein Pflegetagebuch dient dazu, den Pflegeaufwand, den Sie tagtäglich für Ihr pflegebedürftiges Kind bewältigen, detailliert festzuhalten. Es erhöht die Chancen, den korrekten Pflegegrad und die entsprechenden Leistungen bewilligt zu bekommen.

 

Hier finden Sie zwei Beispiele:

 

https://mcusercontent.com/e1ccb40b262c1729ee0320cd3/files/3b7ebd23-a570-4918-b45c-685979191e87/FAMILIARA_Pflegetagebuch_Kinder.pdf [externer Link]

 

https://www.pflegeberatung.de/fileadmin/Beratung_und_Planung/Infomaterial/Medicproof_Pflegeprotokoll_22-Kinder_Ausfuellbar.pdf  [externer Link] (Compass)

Eine Diagnose ist nicht zwingend Voraussetzung, um die aus der Erkrankung oder Entwicklungsverzögerung resultierenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit im Gutachten berücksichtigen zu können. Aber es ist natürlich schon so, dass die Gutachter sich nicht alleine auf die Aussagen der Eltern berufen können.

 

Selbst wenn noch keine endgültige Diagnose vorliegt, muss doch aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich sein, dass die Beeinträchtigung der Selbständigkeit und der Fähigkeiten auf Dauer vorliegt und die Eltern deshalb auch schon bei Ärzten/Therapeuten vorstellig waren.

 

Wenn die Eltern Verhaltensauffälligkeiten beschreiben die z.B. typisch für Kinder mit ADHS sind, diese aber noch nicht durch den Kinderarzt von anderen herausfordernden Verhaltensweisen abgegrenzt und ggf. therapiert wurden, können die Gutachter diese nicht als dauerhafte Problemlagen berücksichtigen.

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